Wie Marken in Krisen durch Haltung gewinnen.

Photo by Oladimeji Odunsi on Unsplash
München, 21.10.2020


Interbrand’s »Best Global Brands 2020«-Ranking zeigt, wie die Covid-19-Krise die Schere zwischen den wertvollen und den weniger wertvollen Marken weiter geöffnet hat. Demnach sind 43 Prozent der untersuchten Marken gewachsen, während 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr an Wert verloren haben. Das durchschnittliche Wachstum der wertvollsten größten Marken (Apple, amazon und Microsoft) betrug immerhin 50 Prozent! Die Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass Krisen ein Katalysator für Markenwachstum (oder eben Wertverluste) sein können, wenn die Markenverantwortlichen rechtzeitig richtig handeln. Weil Unsicherheit die Ängste der Verbraucher schürt, braucht es mutige Markenführung, um Hoffnung zu schöpfen. In Krisenzeiten wie diesen müssen sich Markenentscheider von der Perspektive und nicht von der Unmittelbarkeit leiten lassen. Einflussreiche, verantwortungsvolle Marken müssen zukunftsgerichtet und langfristig agieren, indem sie den unvermeidlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Turbulenzen und dem drohenden Chaos einen starken Purpose und kompromisslose Werte entgegensetzen.

Dieses Jahr war für uns alle voller Unsicherheiten. 

Diese von Covid-19 verursachte Unsicherheit hat Angst geschürt und damit die Notwendigkeit für Unternehmen erhöht, Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln. Für Marken und ihre Marketingentscheider ist es von grundlegender Bedeutung, sich mit diesem neuen Bedingungen auseinanderzusetzen und zu verstehen, welche wichtige Rolle die eigene Marke in dieser verunsicherten Welt spielen kann. 

Die Art und Weise, wie Führungskräfte eine Krise bewältigen, kann den Ruf eines Unternehmens beeinflussen (und ihren Ruf zerstören) und den Unterschied zwischen Geschäftserfolg oder Scheitern ausmachen. Mit dem richtigen Ansatz und klarem Denken ist es Marken jedoch möglich, in schwierigen Zeiten nicht nur zu überleben, sondern sogar zu wachsen. 

Dieser Beitrag ist ein Plädoyer dafür, sich rechtzeitig über die Haltung und wichtige Werte der eigenen Marken klar zu werden und besonders Krisenzeiten dazu zu nutzen, diese wichtigen Werte auch nach außen erlebbar zu machen. Marken haben das Recht und vielleicht sogar die Pflicht, zu wichtigen Themen Stellung zu beziehen, die die Menschen gerade beschäftigen.

Das erste, was eine Marke tun kann, um sich vor unerwarteten und oft einschneidenden Krisen zu schützen, ist rechtzeitig zu wissen, wofür sie steht und welche Haltung sie zu wichtigen relevanten Themen einnehmen will. Eine kluge Definition wesentlicher Markenwerte sollte schon lange vor einer Katastrophe im Unternehmen verankert sein - eine neue Bestimmung, den Sinn der Marke (neudeutsch: Purpose) zu finden, wenn sich das Gewitter bereits am Horizont abzeichnet, ist in den meisten Fällen zu spät. 

Die Werte und Haltung des Unternehmens oder der Marke sollten allen bekannt, integriert, assimiliert und von allen im Unternehmen bereits gelebt werden, sodass dann alle das Richtige tun können, wenn eine Krise diese Werte infrage stellt.  

Eine frühzeitige, transparente Diskussion darüber, wo die Marke in Bezug auf politische und soziale Themen und Strömungen, Umweltbelange, soziale Gerechtigkeit und alle anderen zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Themen steht, bedeutet, dass sie besser vorbereitet ist, wenn die Herausforderungen plötzlich vor der Tür stehen. 


Angela Weiss/AFP/Getty Images

Angela Weiss/AFP/Getty Images

Bei NIKE herrschte bereits früh Klarheit darüber, wofür die Marke steht, sodass das Unternehmen mit seinen Kampagnen rund um Colin Kaepernick und »Black Lives Matter« agil, mutig und angemessen agieren konnte. (US-Präsident Donald Trump hat mit seiner scharfen Kritik für sein vermeintlich »unpatriotisches Verhalten« an American-Football-Star Colin Kaepernick auch dessen Sponsor Nike unter Druck gesetzt.) Zwar wird NIKEs Reaktion in einigen Kreisen immer wieder kritisiert, aber die Marke zeigte sich standhaft und unerschütterlich, sicher in dem Wissen, dass genau diese mutige Haltung ihrem Purpose und ihren Werten entsprach.


Marken müssen heute mehr denn je Gespräche über Haltung und Wertekanon führen und dürfen sich nicht einfach aus der Verantwortung schleichen oder passiv zusehen, nur weil sie das für sicherer erachten. Je mehr sich Marken in Krisenzeiten verängstig, nur beobachtend und abwartend an die Seitenlinie zurückziehen, desto mehr verlieren sie an Glaubwürdigkeit und den Kontakt zu ihren Zielgruppen.  


Abbildungen: the nu company GmbH

Mit einem starken Signal startet the nu company eine bisher in der Lebensmittelbranche wohl ziemlich einzigartige Kampagne: In einem offenen Brief, der sowohl im »Spiegel« als auch in der »Lebensmittelzeitung« erscheint, bezieht der Riegelhersteller klar Stellung gegen so einiges, was in der Lebensmittelindustrie derzeit falsch läuft und fordert Ernährungsministerin Julia Klöckner auf, endlich umzudenken. Marken können und müssen heute nicht nur die Vorteile ihrer Produkte vermitteln, sondern auch Haltungsplattformen entwickeln, die ihren Kunden helfen, über gemeinsame Werte zu einer loyalen Gemeinschaft zusammenzuwachsen und nicht nur einfach eine Zielgruppe zu bleiben.


In Krisenzeiten ändern sich die Erwartungen und Verhaltensweisen der Kunden oft sehr schnell, und die Herausforderungen, mit diesen Veränderungen und Markttrends Schritt zu halten, sind enorm. Aber genau dies ist der Moment für Marken zu zeigen, dass sie die Sorgen oder Wut ihrer Kunden verstehen und sie zu Seelenverwandten zu machen. 

Crowd-Sourcing-Programme wenden sich an leidenschaftliche Verbraucher, damit sie nicht nur bei der Optimierung der Produkte und Dienstleistungen mithelfen, sondern auch formulieren, an welchen Stellen sie sich mehr Haltung von ihrer Marke wünschen und welche. »LEGO Ideas« ist so eine Crowdsourcing-Plattform auf der sich Markenfans nicht nur über neue Produktideen, sondern auch über relevante Themen austauschen können. 

Marken sollten sich von dem inspirieren lassen, was ihre Kunden inspiriert; sie müssen ihnen mehr zuhören und dann entscheiden, auf welche wichtigen Themen sie ihre häufig begrenzten Ressourcen konzentrieren wollen. 


Der Viral-Hit von Outdoor-Marke Patagonia: Das versteckte Etikett mit dem Kampagnen-Motto »Vote the Assholes out«.
Foto: Esquire

Eine ja gerade besonders heiß diskutierte Haltungskampagne ist die »Vote The Assholes Out«-Initiative vom Outdoor-Mode-Label Patagonia (Mehr über die Kampagne hier.). »Vote The Assholes Out!» (Wählt die Arschlöcher raus) wurde als Aufruf an die Verbraucher positioniert , für die »Verteidigung des Planeten« zu kämpfen und Politiker, die ihre Umweltschutzmaßnahmen zurückfahren, aus dem Amt zu entfernen. Bekannt wurde die Kampagne durch das Meme, das ein Etikett mit dem Kampagnenmotto zeigte, das Patagonia in seine »Stand up Shorts« eingenäht haben soll. Als Ad-hoc-Aktion, um sich gegen die Leugner des Klimawandels zur Wehr zu setzen, traf die US-amerikanische Outdoor-Marke eine sehr schnelle Entscheidung, mit der medienwirksamen Botschaft live zu gehen, und zwar so schnell, dass der europäische Marketingdirektor Alex Weller davon zuerst in den sozialen Medien erfahren haben soll. Die Botschaft »Vote the Assholes Out« entspricht dem Ethos des Unternehmens und ist ein Slogan, den der Gründer und Eigentümer des Unternehmens, Yvon Chouinard, häufig verwendet haben soll. Bereits 2018 veränderte die Marke ihren Purpose mit dem neuen Leitbild: »We’re in business to save our home planet.«


Die Begehrlichkeit von Marken entsteht immer aus einer gesunden Mischung aus Produktnutzen und Markensympathie - was die Verbraucher brauchen und wie sie über die Marke denken. Aber die Erwartungen an die Haltung von Marken sind gestiegen und steigen gerade in Krisenzeiten weiter an. 

Trotz aller Kontroversen war Amazon während der Covid-19-Krise äußerst erfolgreich, weil es Amazon gelang, seinen konsistenten und schnellen Lieferservice für seine Kunden aufrecht zu erhalten. Und es gelang AMAZON, wichtige emotionale Punkte zu machen, indem man die gesellschaftliche Verantwortung der Marke in der Versorgung von Menschen im Lockdown nicht nur kommunikativ stärker herausstellte, sondern auch durch überragende logistische Leistung bewies. 

Viele echte Innovationen, die wir als Ergebnis von Covid-19 erleben, sind nicht nur vorübergehende Initiativen zur Umgehung der aufgezwungenen Verhaltensänderungen, sondern werden noch weit in die Zukunft hineinwirken. 


Abbildungen: Lemonaid Beverages GmbH, Hamburg

Wie man mit blitzschnellem Marketing und einer aufsehenerregenden Guerilla-Aktion jede Menge Aufmerksamkeit für das Anliegen der eigenen Marke, aber auch vieler Verbraucher erzeugt, hat Lemon-Aid gerade gezeigt. Es gab mal wieder Ärger, weil eine Limonade der Hamburger weniger als die amtlich vorgeschriebene Menge an Zucker enthält. Kaum zu glauben? Ja, dafür gibt es Richtlinien, es müssen zumindest sieben Gewichtsprozent sein! Nach oben gibt es erstaunlicherweise keine Grenze. Diesmal drohte das Amt für Verbraucherschutz das Produkt aus dem Handel zu nehmen. Obwohl es schon 2019 nach der ersten Abmahnung zu lebhafter medialer und politischer Diskussion über die offensichtlich unsinnigen Zucker-Vorschriften gekommen war, allerdings ohne Konsequenzen vonseiten des Gesetzgebers.


Um effektiv krisensicher zu werden, müssen Marken eine instinktive Vorstellung davon haben, was ihre Kunden jetzt und in Zukunft wollen. 

In den letzten Jahren konnten wir beobachten, wie Unternehmen, Unternehmer und ihre Marken genau dort einsprangen, wo die Regierungen zu langsam reagierten oder die Erwartungen krisengebeutelter Menschen nicht erfüllen konnten. Sie sind eingesprungen und haben die Rolle übernommen, die traditionell den Regierungsorganisationen zukommt - wie die gemeinnützige Stiftung von Bill Gates, die (möglicherweise nicht ganz uneigennützig) Forschung im Gesundheitswesen betreibt und Unternehmen wie Merck und Microsoft die Veränderungen ankündigen, um globale Emissionen schneller zu reduzieren, als die Regierungen dies fordern. 

Covid-19 war und ist die größte Krise, die die meisten Unternehmen bisher erlebt haben. Aber es wird nicht die Letzte sein. Marken, die die Auswirkungen dieser Krise überleben, müssen lernen und sich auf alles, was in Zukunft kommt, irgendwie einstellen.

Mehr zu den Themen Haltung und Purpose auch in meinen Beiträgen:
»Braucht denn jetzt jede Marke einen Purpose?«
»Wie finden wir den Purpose unserer Marke?«
»
Findet euren Purpose mit dem Concious Marketing Modell.«
»
Braucht denn jetzt wirklich jede Marke einen Purpose?«
»
Wo kommt der Purpose meiner Marke her?«
»Haltung zeigen kann Marken nützen.«
»
Wie Marken in Krisen durch Haltung gewinnen.«
»Sollen Marken Stellung beziehen zu gesellschaftlich relevanten Themen?«
»
Wie Marken in Krisen durch Haltung gewinnen.«


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Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit seinen Design-Kollegen bei mattweis (www.mattweis.de).

Andreas Wiehrdt

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