Unsexy – Warum Low-Interest-Produkte der Horror jedes Unternehmers sind und wie man High-Interest selbst für langweilige Produkte erzeugen kann.

Unsexy – Warum Low-Interest-Produkte der Horror jedes Unternehmers sind und wie man High-Interest selbst für langweilige Produkte erzeugen kann.

Photo by Abbie Bernet on Unsplash

München, den 23.04.2021
Autor: Andreas Wiehrdt

Mithilfe von Interviews finde ich gerade für einen Auftraggeber heraus, wie die Gatekeeper im Handel ticken und welche Entscheidungskriterien sie für die Listung neuer Lieferanten aus seiner Branche nutzen. Dabei überrascht, dass viele Gatekeeper im Fachhandel seine Produktkategorie (es handelt sich um praktische Geräte, die in verschiedenen Branchen eingesetzt werden) als »Low-Interest« oder »C-Produkte« bezeichnen. Produkte, die sie als Händler führen müssen, die aber weder großen Anteil am Gesamtumsatz besitzen noch in hoher Frequenz gekauft werden. Endkunden, die solche Produkte von Zeit zu Zeit kaufen (müssen), verschwenden nicht viel Zeit auf die Kaufentscheidung und nehmen, was gerade vorrätig ist. Von welchem Hersteller das Produkt kommt, scheint ihnen herzlich egal und einen Umweg würden sie auch nicht in Kauf nehmen, um das vorrätige gegen ein besseres Gerät einzutauschen.

Horrorszenario oder Chance für das Marketing des Herstellers?

In diesem Beitrag werde ich kurz erklären, wie und warum man gemeinhin Low-Interest- und High-Interest-Produkte oder Produktkategorien voneinander unterscheidet, warum man als Anbieter immer danach streben sollte, zu den High-Interest-Produkten zu gehören und wie gutes Marketing dabei helfen kann dass das auch gelingt.

Was verstehen wir unter Low-Interest-Produkten und wie unterscheiden sie sich von ihren beneidenswerten Gegenspielern, den High-Interest-Produkten?
Das Gabler Wirtschaftslexikon beschreibt Low-Interest-Produkte als »Konsumgut, dem die Verbraucher ein geringes Interesse entgegenbringen und das durch habituelles Kaufverhalten charakterisiert ist.« Der Kunde setzt sich beim Kauf solcher Güter nur wenig mit den Alternativen auseinander, weil er dem Kauf des Produktes einfach keine hohe Bedeutung beimisst.

Hier die wichtigsten Unterschiede zwischen Low- Involvement- und High-Involvement-Produkten (Abbildung: BrandDoctor).

Deswegen möchte ich auch ab hier von Low-Involvement-Produkten sprechen. Zu den Low-Involvement-Produkten zählt man in der Regel Verbrauchsgüter, Lebensmittel und Massenprodukte, bei denen keine großen Qualitätsunterschiede feststellbar sind, beispielsweise Milch, Zucker oder Zahnstocher. Aber auch deutlich komplexere und teurere Produkte und Dienstleistungen können in die Low-Involvement-Kategorie fallen. Entscheidend ist, was oder besser wie viel in der Psyche der Käufer passiert, wenn eine Kaufentscheidung ansteht und welche individuellem Konsequenzen eine richtige oder falsche Kaufentscheidung für den Käufer hätte. Konkret, wie hoch ist der finanzielle, psychologische oder emotionale Nutzen einer richtigen Kaufentscheidung und welchen finanziellen, psychologischen oder emotionalen Schaden könnte eine falsche Entscheidung nach sich ziehen.

Welche Nachteile hat es, wenn man Low-Involvement-Produkte und Dienstleistungen verkauft?
Bei Kaufentscheidung der Kategorie Low-Involvement ist es dem Käufer auf Deutsch gesagt scheißegal, von welchem Hersteller oder welcher Marke er ein Produkt, eine Dienstleistung oder Lösung ersteht. Sie oder er machen sich darüber »keinen Kopf«. Ein Bedarf muss befriedigt werden, Nachschub oder eine pragmatische Lösung müssen her. Fertig! Was immer bequem, schnell und unkompliziert zu beschaffen ist, wird gekauft, wenn möglich noch zum niedrigsten Preis.

Der Horror für viele Anbieter, die höhere Ambitionen besitzen, als nur Ware oder Dienstleistungen zum niedrigsten Preis überall schnell verfügbar zu machen und bei niedriger Marge über Menge Geld zu machen.

Wenn es nicht gelingt, aus der Low-Involvement-Kategorie aufzusteigen, bleibt die Marge gedeckelt und man läuft Gefahr, Umsatz zu verlieren, wenn es einem Mitbewerber gelingt, Distribution zu kaufen oder sein Angebot über geschicktes Marketing als begehrlicher zu etablieren.

Wie kann es gelingen, von Low-Interest- zum High-Interest-Produkt zu werden?
Hättet ihr geglaubt, dass es gelingen kann, einen schnöden Kugelschreiber zum High-Involvement-Produkt zu machen und für weit über 300 € an die Frau und den Mann zu bringen, wenn es doch durchaus praktikable Alternativen für 20 Cent gibt? Während der Billig-Kuli einfach nur durch ein sauberes Schriftbild punktet, ist ersterer eine »markante Designikone«, der es gelingt, »Ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.« Und das scheint vielen sogar 300 € Wert zu sein.

Ich bin überzeugt davon, dass es gelingen kann, jedes Produkt oder jede Dienstleistung von Low-Involvement- zu High-Involvement hochzustufen. Vielleicht nicht bei allen Kunden, aber bei wichtigen Zielgruppensegmenten. Für viele Menschen wird ein Kugelschreiber immer einfach nur ein Kugelschreiber bleiben und sie werden sich niemals lange den Kopf zerbrechen, wo sie Ersatz für das verlegte Schreibgerät herbekommen. Aber für andere ist das geliebte Schreibgerät dann halt doch Ausdruck von Status und Erfolg, sie haben großen Spaß damit zu schreiben und sind bereit, Hunderte von hart verdienten Euro für dessen Anschaffung auszugeben.

Kennt ihr FELCO? Kannte ich auch bis vor Kurzem nicht. FELCO stellt Gartenscheren her. Den »Mercedes« unter den Gartenscheren. Über 100 € kann man für eine Gartenschere ausgeben! Aber ein Online Shop bietet aktuell funktionsfähige Gartenscheren auch schon für 1,50 € an. Wie kann es gelingen, einen Garten- und Landschaftsbauer davon zu überzeugen, über 50 € für eine neue Gartenschere aus der Schweiz auszugeben oder weit über 100 € für die Geräte meines eingangs erwähnten Auftraggebers, wenn es doch deutlich billigere Alternativen gibt?

Das geht nur über High-Involvement. Es muss gelingen, genügend potenzielle Kunden davon zu überzeugen, dass der Mehrwert eines Qualitäts- oder Markenprodukts um ein Vielfaches höher ist als der von namenloser Billigware. Konkreter: Der Wert einer richtigen Kaufentscheidung und damit das Risiko oder der Schaden einer falschen Entscheidung müssen überhöht und dramatisiert werden. Nur dann sind diese Kunden bereit, die Extrameile zu gehen, um das Gerät der Wahl zu finden und mehr zu investieren, um das begehrte Produkt zu erwerben.

Welche Hebel gibt es im Marketing, um ein Produkt oder eine Dienstleistung von Low- zu High-Involvement hochzustufen?
Hier ein paar Ideen für Ansatzpunkte und Strategien:

5 hilfreiche Strategien, um von der Low-Involvement- in die High-Involvement-Kategorie aufzusteigen (Abbildung: BrandDoctor).

  1. Informieren.
    Oft genügt es schon, potenzielle Kunden darüber zu informieren, welche sinnvollen Ausstattungsmerkmale ein Produkt besitzt (oder besitzen sollte) und welche relevanten Qualitätsunterschiede bestehen zwischen einem Billig- und dem Qualitätsprodukt. Dazu bedarf es in der Regel noch nicht einmal teurer Werbemaßnahmen. Oft reicht es schon, die überlegenen Features auf der Packung prominent auszuloben.

  2. Nutzen und Mehrwert aufzeigen.
    Noch besser, als nur über Ausstattungsmerkmale zu sprechen ist es auch gleich den Nutzen solcher überlegenen Product Features aufzuzeigen. Ein kluger Marketer hat mal gesagt »Sell the benefit, not the features!« oder wie der berühmte Harward-Business-School-Professor Theodore Levitt es formuliert haben soll: »People don’t want to buy a quarter-inch drill. They want a quarter-inch hole!«. Mit genau dieser Strategie hat der Gefriebeutelanbieter Melitta (heute Toppits) seinerzeit den »Gefrierbrand« (Link zum TV-Spot hier) erfunden, um seine marginal dickere Folie eine hohe emotionale Relevanz zu geben. Und die Zahnbürstenmarke Dr. Best hat den flexiblen Zahnbürstenstil eingeführt und mit der unverletzten Tomate hohe emotionale Bedeutung verliehen (Link zum TV-Spot hier). Zahnmedizinisch soll diese Flexibilität übrigens völlig irrelevant sein! Es hat aber gereicht, um den jahrzehntelangen Marktführer zu schlagen und die eigene Bürste zum vierfachen Preis einer No-Name-Variante an besorgte Zahnfleischphobiker zu verkaufen.

  3. Emotionale Nutzen herausstellen.
    Den hohen emotionalen Nutzen einer vermeintlich unwichtigen Low-Involvement-Produktes glaubwürdig herauszustellen ist die Königsdisziplin des Marketing. So wird eine lapidare Zahnpasta bestenfalls zur Manifestation einer treu sorgenden guten Mutter, der die Zahngesundheit ihrer Kinder eben nicht schnurzegal ist. Oder die hochwertige Gartenschere zum sichtbaren Symbol eines qualitätsorientierten und erfolgreichen Garten- und Landschaftsbauer (»Galabauer,« wie ich kürzlich gelernt habe), der den Billigimporten bewusst den Kampf ansagt und fortan auf Schweizer Qualität setzt. Oder das 300-Euro-Montblanc-Meisterstück, dass seinen Schreiber (sagt man das so?) täglich daran erinnert, es geschafft zu haben, oben angekommen zu sein.

  4. Gamification.
    Manchmal kann es eine gute Lösung sein, eigentlich uninteressante Produkte spielerisch an die Frau und den Mann zu bringen. Gamification (https://de.wikipedia.org/wiki/Gamification), also die Anwendung spieltypischer Elemente im Marketing, können Kunden dazu motivieren, sich mit eigentlich »langweiligen« Themen und Produkten näher zu beschäftigen. So ist es beispielsweise dem Motorsägenhersteller Stihl gelungen, über die »Erfindung« der »Stihl Timbersports« Wettkämpfe (vhttps://www.stihl-timbersports.de/) eigentlich langweilige Motorwerkzeuge zu High-Involvement-Produkten und begehrten Männerspielzeugen zu transformieren und sich als Marke gleichzeitig in die Pool Position zu bringen.

  5. Celebrities. Wenn schon das eigene Produkt nicht sexy ist, kann vielleicht ein aufsehenerregender Promi dabei helfen, Aufmerksamkeit und »Buzz« rund um ein Low-Involvement-Produkt zu generieren. Prominente Markenbotschafter sind keine günstige Strategie, aber funktionieren dafür meist schnell und gut. Zu erfahren, dass sich ein viel beschäftigter Mann wie George Clooney tatsächlich Gedanken um die Wahl seiner Kaffeemarke macht (beispielhafter Nespresso-Spot hier) (https://youtu.be/25g9FttSCn8) oder Heidi Klum und Bully Herbig jeweils nur ganz bestimmte Fruchtgummies naschen, kann Low-Involvement-Produkte wie Kaffeekapseln und Gummibärchen in die High-Involvement-Kategorie heben und Markenpräferenz schaffen.

Wie kann eine starke Marke dabei helfen, von der Low- zur High-Interest-Kategorie aufzusteigen?
Eine starke Marke ist immer ein Upgrade auch für ein Low-Involvement-Produkt. Nicht umsonst tummeln sich die erfolgreichsten Marken gerade auch im Segment der schnelldrehenden Konsumgüter. Hier werden Tag für Tag unbewusst und ritualisiert Kaufentscheidungen getroffen. Kunden nehmen sich nicht die Zeit, Ausstattungsmerkmale konkurrierender Produkte zu vergleichen. Fast schon ohne Nachdenken wird dann zu dem Markenprodukt gegriffen, das man (wiederer-)kennt und mit dem man gute Erfahrungen und Mehrwert verbindet. In Wahrheit wurde das Instrument Marke genau für solche Low-Interest-Produkte erfunden. Nämlich um sich im Segment praktisch austauschbarer Grundprodukte (so genannte Commodities oder auch Me-to-Produkte) vom namenlosen Wettbewerb abzuheben, als Markenprodukt Marktanteile zu gewinnen und signifikant höhere Margen zu realisieren. Um 1900 wurde in Deutschland der Begriff Warenzeichen im Markenschutzgesetz verankert. Kaffee, Zucker und Mehl waren dann auch die ersten Segmente mit eingetragenen Marken.

Der Markenname FELCO auf einer Gartenschere oder schon allein die roten, ergonomisch geformten Kunststoffgriffe legitimieren (zumindest gegenüber einer Teilzielgruppe der Fanboys und -girls) einen Premiumpreis, der das Mehrfache einer Billiggartenschere übersteigt. Die stilisierte weiße Spitze des Montblanc auf einem Kuli erlaubt es offensichtlich, über 300 Euro für dieses noble Schreibgerät aufzurufen. Wenn das nicht alleine die Investition in Markenaufbau und -Pflege rechtfertigt?

Zusammengefasst:
Wer Produkte oder Dienstleistungen verkauft, die als Low-Involvement klassifiziert sind, hat es schwer, Distribution aufzubauen, gute Plazierungen im Regal zu bekommen, auskömmliche Margen zu realisieren und seine Position gegenüber aggressiven Mitbewerber (vielleicht aus Asien) zu verteidigen. Deswegen sollte jeder weitsichtige Unternehmer alles daran setzen, mit seinen Produkten von der Low-Involvement- zur High-Involvement-Kategorie aufzusteigen.

Ich behaupte, jedes Low-Involvement-Produkt lässt sich zum High-Involvement-Produkt machen, wenn man in smartes Marketing, Markenaufbau und -pflege investiert. Die Vorteile gleichen in der Regel die hierzu notwendigen Marketinginvestitionen bei Weitem aus.

Wenn ihr das Gefühl habt, euer Produkt spielt in der Low-Involvement-Kategorie und etwas Unterstützung dabei vertragen könnt, in die Liga der High-Involvement-Produkte mit Wettbewerbsvorsprung und hohen Margen aufzusteigen, zeige ich euch gerne praktikable Wege hierzu auf. Ich freue mich über eure Kontaktaufnahme.


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.

Andreas Wiehrdt

Hallo!
Hier schreibe und sammele ich als BrandDoctor Interessantes, Neues und Hilfreiches zu meinen Themen Markenstrategie und -Design.


Falls euch ein Beitrag gefallen hat, freue ich mich sehr über Likes, Shares, Re-Posts und natürlich Kommentare.


Themenwünsche gerne per E-Mail an meine Marken-Praxis unter doctor@brand-doctor.net


Hier unten könnt ihr meinen gesamten Blog nach Themen durchsuchen, die euch gerade besonders interessieren.

https://www.brand-doctor.net
Zurück
Zurück

Wie formuliert ihr das einzigartige Nutzenversprechen für euer Angebot?

Weiter
Weiter

Positioning: Wie Marken selbst in übersättigten Märkten profitabel wachsen.