Brand Doctor

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Brand-Design im digitalen Zeitalter – Das How-to für Markenmacher (3)

Den größten Teil meines Berufslebens war Markenführung und -inszenierung offline. In der guten, alten 360-Grad-Kommunikation hießen die wichtigsten Kanäle über die wir Marken inszenierten klassische Werbung, Direct Marketing, Promotion, Event und PR. Heute denken wir zuerst digital. Und nur die großen Player investieren noch in die nicht-digitalen Kanäle.

Als Markenstratege interessiert mich, was dieser Paradigmenwechsel von Offline zu Digital First für die Entwicklung und das Design von Marken bedeutet. Was müssen wir als Markenmacher heute anders denken und machen, damit wir unsere Marken gerade in den digitalen Kanälen optimal inszenieren können? Wie designen wir Marken für den digitalen Raum?

Nachdem ich erstaunlich wenig kompetente Literatur zu diesem Thema gefunden habe, kam ich auf die Idee, mal ein paar Experten aus meinem Netzwerk zu fragen. Die kurzen Interviews und vor allen die spannenden Erkenntnisse daraus möchte ich hier in einem mehrteiligen Beitrag vorstellen.

In diesem Beitrag erfahrt ihr, warum die User-Experience in digitalen Kanälen maßgeblich dazu beiträgt, das Markenerlebnis zu beeinflussen und Bindung zu erzeugen, wie eine der führenden UX-Design-Agenturen dabei vorgeht und warum sich Markenverantwortliche von ihren starren CD-Manuals verabschieden sollten.

Felix van de Sand von COBE.

Heute spreche ich dazu mit Felix van de Sand, einer der Gründer und Managing Partner der Münchener User-Experience-Agentur COBE, Ex-Industrie- und jetzt User-Experience-Designer, Neuromarketing-Fan und Buchautor.

BrandDoctor: Danke Felix, dass du dir die Zeit genommen hast, mit mir über Marken im digitalen Raum zu sprechen! Wir beide haben uns über eine wirklich digitale Marke kennengelernt: boon. , Wirecards junge Brand für digitales Payment und Banking. Die Interaktion der Nutzer mit der Marke findet weitestgehend nur im digitalen Raum statt und unterliegt damit ganz eigenen Gestaltungsgesetzen. Als gefragte Entwickler digitaler Anwendungen und Apps ist es ja eure Aufgabe und Verantwortung, Marken im digitalen Raum zu Leben erlebbar zu machen. Worauf kommt es dabei an?

Felix van de Sand: Digitale Produkte eines Unternehmens werden ja zunehmend zum zentralen Element der Interaktion von Kunden mit der Marke. Immer häufiger interagieren Nutzer über Schnittstellen wie Apps, Websites und digitale Interfaces mit einer Marke. So findet ja der Kontakt mit der Payment-App boon. – der Marke an der wir beide an verschiedenen Seiten arbeiten – im wesentlichen nur über Apple oder Google Pay, die App und die Website statt. boon. hat ja als Neo-Bank keine Filialen und die Hotline benötigt der User gottseidank auch immer weniger. Und in Wahrheit ist ja sogar eure Out-of-Home-Kampagne heute weitestgehend digital.


Für die Nutzer ist jeder Kontakt mit der Marke, egal an welchem Touchpoint, immer auch ein Markenerlebnis.. Kate Kaplan, User-Experience-Specialist bei der Nielsen Norman Group schrieb [hier] dazu: «Most people can’t differentiate how they feel about a brand from how they feel about the experiences they have with the brand.». Wir bei COBE betrachten digitale Produkte deswegen nicht nur als Informations- und Funktionsträger, sondern auch als Markenbotschafter, die gezielt unterbewußte Assoziationen und Emotionen auslösen. Und wir haben mit der UXi-Methode ein Tool entwickelt, die User Experience eines digitalen Produktes aus der Positionierung einer Marke abzuleiten und so User Experience und Brand Experience deckungsgleich zu gestalten.

BrandDoctor: Als Markenentwickler und -stratege schätze ich euren Ansatz sehr, die Identität einer Marke zunächst vollumfänglich verstehen zu wollen, bevor ihr beginnt, über eure User-Interfaces Markenerlebnisse zu schaffen, die ihr ja BX (abgeleitet von Brand-Experience) nennt. Mit eurer UXi-Methode habt ihr ein Tool entwickelt, dass euch dabei hilft, Markenwerte in Designrichtlinien zu übersetzen. Erzähl bitte kurz, wie ihr da vorgeht. 

Felix van de Sand: Ja, UXi hilft unseren UX-Designern dabei, über die hoffentlich hohen funktionalen und pragmatischen Nutzen der User-Interfaces hinaus, auch das Markenerlebnis markenkonform zu steuern und so die emotionale Bindung zwischen Marke und User zu festigen. Außerdem versuchen wir über unsere User-Experience-Identity-Methode, unsere individuelle Herangehensweise für unsere Kunden in den Unternehmen transparenter und nachvollziehbarer zu machen.

UXi funktioniert in drei Schritten:

(1.) Die Semantische Karte.
Dabei ordnen wir die Markenwerte nach ihrer Eignung und Relevanz für unser User-Experience-Design in drei Prioritäten: (1.) Kernwert, (2.) Sekundärwert und (3.) Tendenz-Wert. Ziel dieses Prozesses ist es, diese Markenwerte Mithilfe von User-Experience-Design in das zu gestalten Product zu codieren und bei der späteren Nutzung zum Leben zu erwecken.

(2.) Erfahrungswissen.
Basierend auf der Semantischen Karte  folgt im zweiten Prozessschritt die Untersuchung des Erfahrungswissens. Wir erarbeiten uns, welche Bilder, Eindrücke und Gefühle mit den wichtigen Markenwerten verbunden werden. Das machen wir in Brainstorming-Workshops, bestenfalls mit Teilnehmern aus der Zielgruppe. Das Ergebnis dieses zweiten Prozessschrittes ist ein besseres Verständnis dessen, was die Zielgruppe mit den entsprechenden, wichtigen Markenwerten verbindet. Daraus leiten wir dann den Code für die Gestaltung digitaler Produkte ab, die später zu einer markenkonsistenten und -prägenden User-Experience führen.

(3.) Implizite Codes.
In diesem Schritt definieren wir, welche Gestaltungselemente als konstituierende Merkmale eingesetzt werden sollen, um den gewünschten Markenwert zu codieren. Moodboards liefern uns Leitplanken für eine markenkongruente Gestaltung der User-Experience. Hier kommt dann auch die Tonalität, also die Sprache der App beziehungsweise der Marke mit ihren Nutzern zum Tragen.

Dank unserer UXi-Methode können wir sicherstellen, dass jedes digitale Produkt, das wir gestalten über eine hohe Relevanz für seine Nutzer verfügt, sich im Idealfall klar von den Mitbewerbern unterscheidet und zur Marke passt.

BrandDoctor: Ihr designt ja eigentlich keine Marken, sondern User-Experiences, aber hättest du vielleicht trotzdem ein paar Tipps für alle Markenverantwortlichen da draußen, wenn es darum geht ihre Marken fit zu machen, für die digitalen Kanäle? Wie müssen Marken denn heute beschaffen sein, damit sie Erfolg haben können im digitalen Raum?

Das Fachbuch von Felix zum Thema (Abbildung: Amazon)

Felix van de Sand: Du hast Recht, Andreas, wenn wir unsere Arbeit beginnen, ist die Marke bestenfalls schon klar definiert und das Brand-Design steht. Mein Wunsch an die Markengestalter wäre, dass sie die digitalen Touchpoints immer schon mitdenken und sich von den starren Brand-Manuals verabschieden, die wir gerade von großen Corporates leider immer noch häufig vorgesetzt bekommen. Marken müssen zwar im Kern, in ihren Werten konstant auftreten, aber heute auch flexibel reagieren und sich auf immer neue Kanäle und Touchpoints einstellen können. Da sind allzu starre Design-Vorgaben kontraproduktiv.

BrandDoctor: Dann fasse ich nochmals zusammen: Das User-Interface digitaler Produkte wird immer mehr zum dominierenden Touchpoint für Markenerlebnisse. Konsequenterweise muss das User-Interface über rein funktionale und pragmatische Nutzenaspekte hinaus, auch das Markenerlebnis markenkonform steuern und dazu beitragen, die emotionale Bindung zwischen Marke und User zu festigen. Mit eurem UXi-Modell versucht ihr den Gestaltungsprozess von einer bisher rein intuitiven Vorgehensweise auf eine wissenschaftlich fundierte aufzuwerten und damit die Qualität eurer Lösungen zu steigern. Dabei bestimmen die wichtigsten Markenwerte die spätere User-Experience. In einer Zeit in der die Touchpoints zwischen Nutzern und Marke immer vielfältiger und digitaler werden, müssen Markenmacher mehr Spielraum und Flexibilität in ihre Design-Manuals einbauen.

Danke für deinen Input, Felix!

Der BrandDoctor führte das Gespräch mit Felix van de Sand, dem Mitgründer der Web Guerillas und heutigen Co-Geschäftsführer der Designagentur mattweis im Auto auf dem Weg nach München.

In weiteren Teilen dieser mehrteiligen Interviewserie unterhalte ich mich unter anderem mit Collin Croome, Digital-Entrepreneur, Facebook-Marketing-Experte und Geschäftsführer der eBranding-Agentur coma2 [hier], Daniel Borck, dem Geschäftsführer, Creative Director und Mitbegründer der Brody Associates Berlin [hier], Gunther Weis, dem Mitgründer der Web Guerillas und heutigen Co-Geschäftsführer der Designagentur mattweis in München sowie Jürgen Biefang, einem Digital-Story-Teller und erfahrenen Video-Producer, sowie Inhaber der Produktionsfirma CLIPPS.TV.


Der BrandDoctor hilft bei wichtigen Markenentscheidungen mit Tragweite.
Als BrandDoctor helfe ich Unternehmern, Gründern und Marketingverantwortlichen sowie Marken- und Designagenturen dabei, ihre wichtigen Marken- und Marketingentscheidungen professionell und Erfolg versprechend zu treffen. Mit innovativen Tools unterstütze ich sie, das wichtige strategische Fundament dafür zu legen, mit ihren Marken nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren.

Über den Autor: Andreas Wiehrdt entwickelt und revitalisiert Marken seit über 20 Jahren. Alleine, als Markenstrategieberater oder im Team mit erfahrenen Spezialisten aus seinem Kompetenznetzwerk.